Kürzlich hat smartEn den Leitfaden „Implementing EU laws: A guide to activate demand-side flexibility in the EU 27 Member States“ veröffentlicht, um die Umsetzung europäischer Vorgaben zur Nachfrageflexibilität (Demand-Side Flexibility, kurz: DSF) in allen EU-Mitgliedstaaten zu unterstützen. Wir haben mit Michael Villa, Geschäftsführer von smartEn, über die Bedeutung dieser Publikation und die Rolle nationaler Entscheidungsträger bei der Entfaltung des vollen Potenzials von DSF gesprochen.
In den vergangenen zwei Legislaturperioden der EU wurde die regulatorische Basis für Nachfrageflexibilität bereits sehr umfassend gelegt. Insgesamt sprechen wir von rund 70 Regelungen, die sich auf sechs zentrale EU-Gesetzgebungspakete verteilen. Ziel unseres Leitfadens ist es, nun von der Gesetzgebung zur tatsächlichen Umsetzung zu kommen – genau dort liegt derzeit der Engpass. Viele Mitgliedstaaten hinken bei der praktischen Umsetzung dieser Regeln noch hinterher. Wenn wir unsere Energie- und Klimaziele erreichen wollen, können wir uns weitere Verzögerungen nicht leisten.
Nachfrageflexibilität, oder DSF, beschreibt die Fähigkeit von Verbrauchern – also Haushalten, Unternehmen und Industrie – ihren Stromverbrauch, die Eigenerzeugung oder Speicherung flexibel und dynamisch an Preissignale oder Netzanforderungen anzupassen. Möglich wird das durch digitale Technologien und dezentrale Energieressourcen wie Wärmepumpen, Batterien, E-Fahrzeuge oder intelligente Energiemanagementsysteme, die auf externe Signale reagieren können. DSF senkt die Systemkosten, erhöht die Versorgungssicherheit und unterstützt die Integration erneuerbarer Energien auf intelligente und effiziente Weise.
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Es gibt mehrere zentrale Hürden. Erstens sorgen fragmentierte Marktregeln dafür, dass Anbieter von Flexibilitätsdiensten nicht effizient grenzüberschreitend agieren können. Zweitens ist das Bewusstsein bei den Verbrauchern noch sehr gering – viele wissen gar nicht, dass sie aktiv an DSF teilnehmen könnten. Und drittens fehlen oft klare Geschäftsmodelle für Dienstleister in diesem Bereich. Ohne Zugang zu Märkten oder verlässliche Einnahmequellen ist es schwer, das Angebot in größerem Maßstab auszubauen.
Der Rahmen ist solide – es geht nicht darum, noch mehr Gesetze auf EU-Ebene zu schaffen. Die Reform des EU-Strommarkts etwa setzt ausdrücklich auf flexible Nachfrage und will den Marktzugang verbessern. Die Herausforderung liegt eher in der Umsetzungsgeschwindigkeit und der einheitlichen Anwendung. Nationale Gesetzgebungen hinken oft hinterher oder schaffen sogar neue Hürden für fairen Zugang und Beteiligung. Genau hier setzt unser Leitfaden an – er zeigt, wie man EU-Vorgaben in effektive nationale Gesetze übersetzt.
Sie sind enorm. Unser Bericht zeigt, dass sich durch DSF die Abregelung erneuerbarer Energien um 61 % reduzieren ließe, jährlich 37,5 Millionen Tonnen CO₂ eingespart würden und 60 Gigawatt an neuer Spitzenlastkapazität vermieden werden könnten – das entspricht Einsparungen von rund 2,7 Milliarden Euro pro Jahr. Zusätzlich könnten flexible Verbraucher jährlich über 71 Milliarden Euro direkt einsparen. Auch alle anderen profitieren: durch niedrigere Großhandelspreise und geringere Systemkosten – mehr als 300 Milliarden Euro jährlich.
Dieser Leitfaden ist eine zentrale Anlaufstelle. Wer wissen will, wie sich DSF-Regeln effizient und ohne Verzögerung umsetzen lassen, findet hier praxisnahe und umsetzbare Hilfestellung. Der Fokus liegt auf konkretem Handeln – wir wollen die Akteure vor Ort befähigen, Hindernisse zu überwinden und die Nachfrageflexibilität flächendeckend zu etablieren.
Frankreich, Belgien, die Niederlande und Großbritannien sind da weit vorne. Sie haben gezielt förderliche Maßnahmen umgesetzt, ihre Märkte für Aggregatoren geöffnet und in Verbraucherinformation investiert. Andere Länder können von diesen Beispielen lernen und sie an ihre eigenen Gegebenheiten anpassen.
Dies ist die erste Veröffentlichung, die sich ausschließlich auf die Umsetzung konzentriert. Frühere Berichte haben meist den Nutzen von DSF beschrieben oder das technische Potenzial analysiert – aber dieser Leitfaden geht einen Schritt weiter: Er liefert konkrete Werkzeuge für nationale Akteure, um DSF auf Basis bereits existierender EU-Vorgaben in die Praxis zu bringen.
Der vollständige Leitfaden ist auf der Website von smartEn verfügbar und kann dort direkt heruntergeladen werden. Wir rufen alle, die an der Energiewende arbeiten, dazu auf, ihn zu nutzen – denn die Umsetzung von Nachfrageflexibilität ist keine rein regulatorische Aufgabe, sondern eine strategische Notwendigkeit für die Energiezukunft Europas.
Diese Publikation wurde mit Unterstützung von The smarter E Europe ermöglicht.