Der SoutH₂ Corridor entwickelt sich zu Europas Vorzeigeprojekt für Europas Wasserstoffstrategie: Eine 3.300 Kilometer lange Pipeline soll ab 2030 jährlich bis zu 163 Terawattstunden grünen Wasserstoff von Nordafrika über Italien und Österreich nach Süddeutschland transportieren.
Damit könnte das Projekt bis zu 40 Prozent der EU-Wasserstoffziele abdecken und das Rückgrat eines wettbewerbsfähigen und stabilen Wasserstoffmarktes werden. Auf der ees Europe 2025 diskutierten fünf Experten aus Infrastruktur und Industrie – darunter auch Projektbetreiber des SoutH₂ Corridors – über die entscheidenden Faktoren für eine erfolgreiche Umsetzung. Im Fokus standen politische Rahmenbedingungen, Finanzierungsmodelle und die Bedeutung multinationaler Zusammenarbeit.
Warum gilt der SoutH₂ Corridor als der vielversprechendste Weg, um grünen Wasserstoff nach Mitteleuropa zu bringen?
Dr. Stefan Kaufmann, Senior Advisor bei Horváth & Partner: Der effizienteste und wettbewerbsfähigste Weg, Wasserstoff zu transportieren, ist derzeit über Pipelines aus Regionen mit niedrigeren Produktionskosten, wie Nordafrika. Um große Mengen kostengünstigen und verlässlichen Wasserstoff für unsere Industriezentren bereitzustellen, müssen wir die bestehenden Pipeline-Abschnitte in Nordafrika und Italien nutzen und Wasserstoffkorridore aufbauen. So könnte grüner Wasserstoff in fünf bis sieben Jahren auch von Deutschland aus nach Mitteleuropa fließen. Das wäre ein realistischer Zeitrahmen, wenn wir jetzt handeln. Das stärkt nicht nur die Energielogistik, sondern sichert auch die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie. Denn sie braucht eine stabile, bezahlbare Wasserstoffversorgung. Pipelines bieten dabei Kontinuität, Skalierbarkeit und langfristig geringere Transportkosten als der Schiffstransport. Kurz gesagt: Damit die grüne Wasserstoffwirtschaft funktioniert, muss die Infrastruktur zuerst kommen.
Piero Ercoli, Executive Director Decarbonization Unit bei Snam: Europa kann und sollte mehr in der heimischen Produktion tun. Aber die Realität ist: Dieser Kontinent wird immer Energie importieren müssen. In Italien liegt beispielsweise der Strombedarf bei rund 300 Terawattstunden, der Gasbedarf jedoch bei 600 Terawattstunden. Diese Differenz lässt sich auch mit Effizienzgewinnen kaum allein durch erneuerbare Energien decken – der zusätzliche Ölbedarf ist hier noch nicht eingerechnet.
Frühere Erfahrungen zeigen, wie wichtig ein diversifiziertes Importportfolio ist, um Versorgungssicherheit zu gewährleisten. Deshalb brauchen wir neben heimischer Produktion auch eine solide Importstrategie. Langfristige, komplementäre Partnerschaften, besonders mit Nachbarländern, sind essenziell und können Jahrzehnte halten, wenn sie richtig gestaltet sind. Der beste Weg ist eine Diversifizierung von Importeuren, Partnern und Technologien.
Timo Bollerhey, Entwickler und Mitbegründer von H2Global, Geschäftsführer der Hintco GmbH: Ich halte die Frage, ob man Wasserstoff und seine Derivate nur importieren oder den Bedarf mittels europäischer Eigenproduktion decken will, für falsch. Die Realität ist, dass uns derzeit Millionen Tonnen grüner Wasserstoff fehlen, sowohl aus heimischer als auch aus außereuropäischer Produktion. Wasserstoff eröffnet die Chance, neue, diversifizierte Partnerschaften aufzubauen, etwa mit Kanada, Australien oder Indien. Diese internationale Diversifizierung ist zentral für die europäische und deutsche Energiesicherheit.
Angebots- und Nachfrageseitig unterstützen Instrumente wie die Initiative H2Global die Schaffung eines Marktes. Die Initiative handelt dabei über einen temporären Intermediär, die Hydrogen Intermediary Trading Company von Hintco, mittels einer Doppelauktion mit Wasserstoff und seinen Derivaten. Anbieter erhalten dadurch beispielsweise eine langfristige Cash-Flow Sicherheit zu einem garantierten Preis – die Grundlage, um Investitionsentscheidungen heute treffen zu können. Käufer hingegen können über die Nachfrageauktionen der Hintco Zugang zu bezahlbaren, grünen Molekülen gelangen. Die, vermutlich negativen, Differenzkosten zwischen Angebots- und Nachfrageauktionen der Hintco wird über eine Zuwendung von öffentlicher Seite ausgeglichen. Solche pragmatischen Instrumente treiben den Markt voran. Wir müssen an allen Fronten gleichzeitig arbeiten, nicht nacheinander.
Timo Bollerhey: Bei unserer jüngsten ‚H2Global Roadshow‘, bei der wir potenzielle Anbieter von Wasserstoff und seinen Derivaten im außereuropäischen Ausland nach den größten Exporthindernissen nach Europa gefragt haben, war die klare Antwort: die europäische Regulierung. Die Delegierten Rechtsakte unter der RED II/III sind sehr eurozentrisch, schaffen Komplexität und Interpretationsunsicherheiten und schrecken in der Folge internationale Partner ab.
Für außereuropäische Anbieter sind die Anforderungen oft nur schwer zu erfüllen, sodass die Vorgaben Europas Anschluss im globalen Wasserstoffmarkt gefährden. Ohne eine pragmatische Auslegung der Regulatorik und einer vorsichtigen Anpassung riskieren wir, nur Zuschauer zu bleiben. Die Gesetze müssen pragmatischer umgesetzt werden, damit sie den Markt nicht behindern. Gleichzeitig muss die Regulatorik einen beständigen und vorhersehbaren Rahmen bilden – das ist also durchaus eine Zwickmühle, in die wir uns in Europa unnötigerweise hineingesteuert haben.
Franz Helm, Geschäftsführer VERBUND Green Hydrogen GmbH: Österreich ist in einer guten Ausgangslage, um eine zentrale Rolle bei der Verteilung von Wasserstoff in Europa einzunehmen. So verfügen wir über ein international vielseitig angebundenes Gas-Fernleitungsnetz, was uns die Möglichkeit gibt, am Aufbau des European Hydrogen Backbones teilzuhaben. Der Südkorridor schafft wiederum die Möglichkeit, große Wasserstoff-Produzenten in Nordafrika via Italien und Österreich mit Abnehmern in Zentraleuropa zu verbinden. Gleichzeitig dürfen wir die heimische Produktion nicht vernachlässigen, um resilient zu bleiben und einen vielfältigen Energiemix zu sichern.
Wir von VERBUND entwickeln derzeit ein diversifiziertes Produktionsportfolio für die Wasserstofferzeugung: In Österreich und Deutschland werden lokale Projekte entwickelt, um die kurzfristige Nachfrage zu bedienen. Dabei setzen wir in diesen Ländern vor allem auf On-Site- und Near-Site-Projekte, die eine unmittelbare Versorgung unserer Projektpartner sicherstellen. Dazu wollen wir in den kommenden drei Jahren 5,9 Mrd. Euro in die grüne Transformation investieren – allein dieses Jahr investieren wir fast zwei Milliarden Euro in erneuerbare Energien, Netzflexibilität und grünen Wasserstoff.
Dr. Stefan Kaufmann: Um ehrlich zu sein, war Baden-Württemberg spät dran. Ich habe zwischen 2020 und 2021 angefangen, mich für den SoutH₂ Corridor einzusetzen. Damals lag der Fokus aber fast ausschließlich auf Häfen in Norddeutschland. Süddeutschland hat keinen Zugang zum Meer, deshalb ist die Pipeline über Italien und Österreich so wichtig. Bayern war früh dabei, während Baden-Württemberg gezögert hat. Jetzt sind sie zwar involviert, aber es braucht mehr Engagement. Der Bedarf aus Zement-, Maschinenbau- und Chemieindustrie ist da, aber ohne regionale Koordination und Infrastrukturplanung werden wir zurückfallen. Der Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft ist daher keine reine Bundesaufgabe, es braucht auch Führung auf Landesebene.
Dr. Stefan Kaufmann: Für einen funktionierenden Wasserstoffmarkt brauchen wir alle Optionen – von der Produktion in Europa, über eine Pipeline-Import-Infrastruktur bis hin zu Ammoniaklösungen. Der SoutH₂ Corridor ist ein Teil der Lösung, aber nicht die einzige stabile Wasserstoffinfrastruktur in Europa.
Piero Ercoli: Für schwer zu dekarbonisierende Sektoren müssen wir uns bildlich gesprochen auf der Überholspur befinden. Denn wir dürfen nicht vergessen, dass unsere Zielgruppen Industrien sind, die schnell große Wasserstoffmengen zu niedrigen Preisen brauchen. Richtig umgesetzt, kann Wasserstoff Europas industrielle Basis sichern und sogar stärken.
Timo Bollerhey: Man kann das Projekt mit der deutschen Autobahn vergleichen. Der SoutH₂ Corridor ist die Lkw-Spur: langsamer, aber für die großen Lasten ausgelegt. Andere Energieträger wie Ammoniak oder Methanol repräsentieren dagegen die Überholspuren. Was wir brauchen, ist eine durchgängige Wasserstoff-Autobahn ohne Tempolimit.