Start-up-Story: Warme Seiten, kalte Seiten

Start-up Story – Freitag, 27. März 2020

Mit Bipolymeren aus Abwärme kostengünstig Strom erzeugen

In der Industrie wird viel Abwärme verschwendet. Für Temperaturbereiche unter 200° C mangelte es bislang noch an preiswerten Möglichkeiten, diese Abwärme zu nutzen. Das Start-up Poligy hat eine Wärmekraftmaschine entwickelt, die die Eigenschaft von Bipolymeren – analog zu Bimetallen – nutzt, sich bei Hitzeeinwirkung zu verformen. Dadurch lässt sich ein Generator antreiben, der Strom erzeugt.

Das Bipolymer besteht aus zwei miteinander verschweißten Kunststoffen, die sich bei Hitzeeinwirkung wie ein Bimetall unterschiedlich stark biegen.

Viele erfolgreiche Unternehmen sollen in einer Garage ihren Anfang genommen haben. Das deutsche Start-up Poligy hatte seine Geburtsstunde in der heimischen Küche. Mitgründer und Wirtschaftschemiker Martin Huber war während seiner dualen Studiums beim Chemiekonzern Bayer auf die Idee gekommen, dass es nicht nur Bimetalle, sondern auch Bipolymere geben müsse. „In der Berufsschule haben wir damals gelernt, was ein Bimetall ist. Ich habe mich gefragt, warum es etwas Entsprechendes nicht aus Kunststoff gibt. Eine Antwort darauf konnte mir keiner geben“, erinnert sich Huber. Daraufhin nahm er mit Erlaubnis seines Arbeitgebers Kunststoffe mit nach Hause. „In meinem Ofen habe ich ein paar Versuche gemacht. Das Prinzip hat so gut funktioniert, dass ich es 2015 zum Patent angemeldet habe.“

Kunststoff hat zwei Seiten

Bimetalle bestehen aus zwei zusammengeschweißten Streifen verschiedener Metalle, die sich dank ihres unterschiedlichen Längenausdehnungskoeffizienten bei Hitze unterschiedlich stark ausdehnen. Da sich das Metall mit dem höheren Koeffizienten mehr ausdehnt, als das Metall mit dem niedrigeren Koeffizienten biegt sich der zusammengewalzte Streifen. Hubers Bipolymere funktionieren nach demselben Prinzip, bestehen jedoch aus zwei zusammengeschweißten Polymeren. Da Polymere sowohl wesentlich größere als auch kleinere Längenausdehnungskoeffizienten aufweisen können, ist der Effekt der Biegung viel stärker.

Nach seinen erfolgreichen Küchenversuchen überlegte Huber, wozu man das Bipolymer nutzen könnte. „Ich hatte früher bereits Wärmekraftmaschinen konstruiert und fand dieses Thema immer schon spannend. So kam ich auf die Idee, beides zu kombinieren“, erzählt Huber. „Zuhause habe ich den ersten Prototypen gebaut, der sich auch ein bisschen gedreht hat, um das Prinzip zu zeigen.“ Durch die Verformung bei Wärme können die wie Speichen eines Rades angeordneten Bipolymer-Bänder einen Generator in Gang setzen, der wiederum Strom erzeugt.

Abwärme ab 50° C wirtschaftlich nutzbar machen

Mit seiner Entwicklung traf Huber den Nerv der Zeit, denn der Bedarf an günstigen und effizienten Wärmekraftmaschinen für niedrige Temperaturbereiche unter 200° C ist groß. Kraftwerke, Fabrikanlagen oder Rechenzentren könnten damit ihre Abwärme wesentlich preiswerter als bisher in Strom umwandeln. Und der Druck, die Abwärme zu nutzen, wächst, ist sich Huber sicher, sei es durch die CO2-Steuer oder durch die Menschen, die auf die Straße gehen. Laut einem Bericht der Deutschen Energie Agentur (dena) ist Prozesswärme heute die größte Abwärmequelle in Deutschland. Experten schätzen, dass Unternehmen hier jährlich rund 5 Mrd. € an Energiekosten einsparen könnten und sich insgesamt ein Wärmeangebot von 125 TWh erschließen ließe. Das Marktforschungsinstitut Global Market Insights geht in einer Studie von Anfang 2019 davon aus, dass der weltweite Abwärmemarkt von 40 Mrd. Dollar Umsatz im Jahr 2018 auf mehr als 80 Mrd. Dollar im 2025 Jahr wachsen wird. Für Deutschland rechnen die Marktforscher im Jahr 2025 mit einem Marktumsatz von 5 Mrd. Dollar.

Die Wärmekraftmaschine kann industrielle Abwärme zur Stromerzeugung nutzen. Ideal für ihre Anwendung sind Einsatzstellen, an denen aktiv gekühlt werden muss.

Pilotphase mit Prototypen beginnt

Um seine Erfindung professionell weiterentwickeln und vermarkten zu können, gründete Huber im Oktober 2018 zusammen mit Partner Artur Steffen in Düsseldorf die Poligy GmbH. Während Huber sich um die technischen Fragen kümmert, ist Steffen für das Geschäftliche zuständig. Inzwischen ist das junge Unternehmen auf 16 Mitarbeiter angewachsen und hat einen Prototyp der Wärmekraftmaschine entwickelt. „Wir sind sehr viel weitergekommen, was den Kunststoff selbst angeht, aber auch, was die Konstruktion der Maschinen angeht. Jetzt machen wir den ersten Auftrag in der Industrie“, berichtet Huber. Dafür arbeite man mit einer Kalkbrennerei in der Nähe von Düsseldorf zusammen. Riesige 300° C heiße Drehrohröfen stehen dort unisoliert im Freien. „Man steht daneben und kriegt einen Hitzschlag. Das ist unglaublich, wie viel Wärme da einfach verpufft“, schildert Huber. Für den Pilottest stellt Poligy die Wärmekraftmaschine einfach neben einem der Öfen auf. Infrarotstrahlung ist die direkte und einfachste Variante der Wärmeübertragung. In weiteren Projekten wolle man aber auch mit warmem Wasser und anderen Wärmeübertragerflüssigkeiten arbeiten.

„Wenn in der Pilotphase alles glattläuft, können wir nächstes Jahr mit der Serienproduktion starten, vielleicht mit zehn Stück. In 2022 wollen wir dann mit der Massenproduktion beginnen“, ist Huber zuversichtlich. Die Wärmekraftmaschine wird modular sein. „Man kann eine Maschine mit 1 m³ haben, aber auch ein Vielfaches davon. Das lässt sich schön skalieren“, erklärt der Wirtschaftschemiker. „Unser Ziel ist es, dass ein 1 m³-Modul 1 kW an elektrischer Leistung schaffen wird. So ein Modul würde dann so zwischen 2.000 und 3.000 € kosten.“

Einsatzmöglichkeiten reichen vom Holzwerk bis zum Rechenzentrum

Anwendungsbereiche gibt es viele, berichtet Huber. „Wir haben uns letztens ein Werk angeschaut, in dem Holz getrocknet wird. Die heiße Luft wird dort einfach rausgepustet. Da gehen 2,5 MW an Abwärme durch den Schornstein verloren. Solche Beispiele gibt es ganz viele.“ Drehrohröfen werden auch häufig in der Zement- und Stahlindustrie verwendet. Das spiele sich alles in einem Temperaturbereich unter 200° C, vieles auch unter 100° C ab, was technisch besonders herausfordernd sei.

„Weil das Bipolymer zum Biegen und Entspannen einen gewissen Temperaturunterschied zwischen der warmen und kalten Seite braucht, sind Einsatzstellen optimal, an denen heute aktiv gekühlt werden muss. Wo man also Energie aufbringen muss, um die Wärme wieder zu loszuwerden“, erklärt Huber. Mit der Wärmekraftmaschine könne man sowohl bei den Kühlkosten als auch beim Strom sparen, den man aus Abwärme gewinnt. So sind zum Beispiel Rechenzentren potenzielle Kunden. „Die sind vom Anwendungsfall sehr spannend. 2030 werden nach unterschiedlichen Schätzungen bis zu 10% des weltweiten Stromverbrauchs nur auf Rechenzentren entfallen. Dieser Strom wird quasi eins zu eins in Wärme umgewandelt, die schließlich verloren geht“, sagt Huber. Das Problem sei allerdings, dass die Abwärme in diesem Fall nur etwa 50° C habe. Die könne man nur schwer nutzen. „Aber wir sind gerade dran, mit unserem Bipolymer solche niedrigen Temperaturen nutzbar zu machen.“

Weiteres Potenzial, um die Maschine bzw. den Kunststoff zu verbessern, liegt in der Zyklenzahl, also wie oft sich das Bipolymer pro Zeiteinheit biegen und wieder entspannen kann. „Die Dauer dieses Vorgangs liegt im Sekundenbereich. Das muss aber noch schneller werden“, sagt Huber. Dafür müsse man die schlechte Wärmeleitfähigkeit des Kunststoffs erhöhen. Außerdem wolle man den benötigten Temperaturunterschied, den das Bipolymer zwischen der heißen und der kalten Seite benötigt, von derzeit 80° C auf bis zu 30° C zu senken.

Bipolymer gewinnt zahlreiche Preise

Unterstützung bekommt Poligy von zahlreichen großen wie kleinen Partnern, darunter internationale Energie- und Chemiekonzerne. Unter anderem arbeitet das Unternehmen mit einem großen Energieversorger aus Düsseldorf zusammen. Das Interesse ist groß, sagt Huber. Das sieht man auch an den zahlreichen Preisen, die Poligy bereits gewonnen hat: Eine Jury des Bundesverbands Erneuerbare Energie (BEE) hat das Start-up jüngst zum Renewable Energy Newcomer 2020 erkoren. Darüber hinaus gewann das Unternehmen 2018 unter anderem den „Future Materials“-Award vom Handelsblatt und im Rahmen der Gründermesse StartupCon 2018 den international ausgerichteten Chem Startup Award in der Kategorie „New Materials“. Außerdem wurde Poligy als eines der weltweit wichtigsten Energie-Startups in die Top 100 Liste von „Start Up Energy Transition (SET)“ aufgenommen.

In den nächsten Jahren will Poligy voll durchstarten und nach erfolgreichen Tests mit den Pilotanlagen mit der Massenproduktion und –installation beginnen. Zu tun gibt es dafür nicht nur in Deutschland genug. Huber ist mit seiner Idee schon weit gereist. Ganz besonders interessant ist für ihn der Japanische Markt: „Japan ist spannend wegen der Geothermie. Man könnte das ganze Land mit Strom daraus versorgen. Die finanzielle Förderung ist hervorragend und das Interesse groß. Darum sind wir regelmäßig mit den Japanern im Austausch.“

von Simone Pabst

Weitere Informationen: Poligy

Martin Huber und Artur Steffen wollen mit ihrem Start-up-Poligy Abwärme unter 200° C wirtschaftlich nutzbar machen.
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