„Solares Wachstum: Kein Boom-and-Bust-Umfeld“

Experteninterview – 30. Juni 2023

Raffaele Rossi, Head of Market Intelligence bei SolarPower Europe

Gemeinsam mit Intersolar Europe hat SolarPower Europe den Global Market Outlook for Solar Power 2023–2027 , eine der wichtigsten Marktstudien der Branche, auf der Intersolar Europe Conference 2023 in München vorgestellt.

Auf der Konferenz sprachen wir mit Raffaele Rossi, Head of Market Intelligence bei SolarPower Europe, über die neu veröffentlichten Markt-Highlights in Europa: bahnbrechende Entwicklungen im Solarbereich insgesamt und einige der wichtigsten aufstrebenden und etablierten Märkte Europas.

Herr Rossi, welches sind die bahnbrechendsten Entwicklungen auf dem europäischen Solarmarkt, die aus dem Bericht hervorgehen?

Der Bericht zeigt ein starkes globales Wachstum von 239 GW (Gigawatt) Solarinstallationen im Jahr 2022. Das entspricht einem Zuwachs von 45%. Auch in Europa war die Entwicklung mit 44% Wachstum und einem Zubau von über 46 GW im Jahr 2022 ähnlich; davon fielen über 40 GW auf Länder der Europäischen Union (EU-27). Der Beitrag der EU am Zubau in Europa ist und bleibt der größte, was vor allem auf die Bemühungen der europäischen Politik im Rahmen des REPowerEU-Plans zurückzuführen ist.

Einige weitere Highlights: Der europäische Kontinent hat die Marke von 250 GW installierter Leistung überschritten. Die Solarenergie gewinnt im Strommix immer mehr an Bedeutung. Das Wachstum wird in nächster Zeit nicht aufhören. Anders als beim ersten europäischen Solarboom 2011 wird es kein Boom-and-Bust-Umfeld geben, sondern ein strukturiertes und nachhaltiges, langfristiges Wachstum.

Für das Jahr 2023 erwarten wir ein weiteres Wachstum von 35%, so dass die installierte Gesamtkapazität in Europa 62 GW erreichen wird, davon etwa 54% in der EU-27. Unser mittleres Szenario sieht einen Markt in Europa vor, in dem bis zum Jahr 2027 jährlich 120 GW zugebaut werden. Dabei würde die EU jährlich etwa 100 GW beitragen.

Spanien war 2022 der größte Solarmarkt in der EU und gehört zu den Ländern mit dem größten Anteil an nicht subventionierten Solarprojekten weltweit.

Im letzten Jahr war Spanien mit einem Marktwachstum von 8,4 GW ein echter Star. Erstmals seit mehreren Jahren hat es Deutschland als wichtigsten Markt in Europa und in der EU-27 überholt. Das Interessante am spanischen Markt ist, dass er weitgehend ohne Subventionen funktioniert, zumindest im Bereich der Großanlagen, die nach wie vor die treibende Kraft auf dem spanischen Markt sind.

Im Jahr 2022 wurden einige Auktionsrunden durchgeführt, aber die Ergebnisse waren eher enttäuschend. Die Angebotsspannen wurden von den spanischen Entwicklern als zu hoch empfunden und sie zogen es vor, auf dem freien Markt aufzutreten. Wir werden sehen, was die nächsten Auktionsrunden bringen. Der Markt könnte etwas segmentierter werden, auch im Großanlagensegment, da Veränderungen im Auktionssystemzu erwarten sind.

Aufdachanlagen gewinnen in Spanien zunehmend an Bedeutung. Die installierte Leistung hat inzwischen die Gigawatt-Grenze überschritten und wir erwarten, dass sich diese Entwicklung weiter fortsetzen wird, da sich die Strompreise auf das Privathaushaltssegment sowie auf Gewerbe- und Industriebetriebe (C&I) ausgewirkt haben. Die Nachfragenach Solardächern wird auch aufgrund der Bereitstellung von Mitteln aus den Konjunkturprogrammen der EU anhalten.

Wie bewerten Sie die Befürchtungen einer fortschreitenden Preiskannibalisierung für Solarenergie in Spanien aufgrund niedriger Strompreise und einem daraus folgenden, sinkenden Interesse der Investoren?

Was die Kannibalisierung angeht, so wird sie mit dem umfassenden Ausbau der Solarkapazitäten und der weiteren Durchdringung des Energiemixes mehr zum Thema werden. Ich denke, es geht darum, sich der Herausforderungen bewusst zu werden und zu sehen, dass wir immer noch ein Energiesystem haben, das auf zentralisierte Erzeugung ausgelegt ist.

Es ist wichtig, an zwei Fronten zu handeln. Erstens sollten flexible Lösungen bevorzugt und die Netze gestärkt werden. Das ist bei Politik und Netzbetreibern noch nicht ganz angekommen. Zweitens sollten die Verbraucher durch Preissignale ihren Energiebedarf auf Zeiten verlagern können, zu denen kostengünstiger Ökostrom verfügbar ist. Wir sprechen von einer nachfrageseitigen Lösung, mehr Flexibilität und Speicherlösungen.

Außerdem ist es wichtig, dass der Power Purchase Agreement (PPA)-Markt weiterläuft und Systeme wie Auktionen langfristige Lösungen für die Verfügbarkeit und Finanzierbarkeit von Projekten bieten. Es könnte also sein, dass die auf den Märkten verkaufte Solarenergie in Zukunft nicht mehr den größten Teil des spanischen Solarausbaus ausmacht.

Was die Preiskannibalisierung angeht: ist Spanien nur der Anfang und wie können die europäischen Märkte den Übergang von subventionierten Solarmärkten zu funktionierenden freien Märkten fördern?

Ich glaube nicht, dass das bald passieren wird. Auch weil die Länder gerne Auktionen mit zugewiesenen Kapazitäten planen, um ein stabiles Wachstum und Planbarkeit zu ermöglichen. Ein Land, das weniger auf diese Art des strukturierten Wachstums gesetzt hat, ist beispielsweise Vietnam. Hier gab es einen ungedeckelten Einspeisetarif, der 2019 und 2020 zu massivem Zubau führte, aber mit dem abrupten Ende der Regelung im Jahr 2021 brach der jährliche Markt von 11 GW auf unter 1 GW im Vergleich zum Vorjahr ein. Jetzt sieht sich die Regierung mit der Herausforderung konfrontiert, dass in kurzer Zeit riesige Mengen an Solarenergie installiert wurden, ohne dass es eine gleichzeitige Netz- und Systemplanung gab; deshalb musste sie zu extremen Maßnahmen greifen, um den weiteren Ausbau der Solarenergie zu bremsen.

Auktionen und Förderprogramme für Dachanlagen zum Eigenverbrauch helfen den Regierungen dabei, ihre Ziele linear und nachhaltig zu erreichen. Natürlich ist es wichtig, dass diese Ziele ehrgeizig sind. Auktionen wird es noch eine Weile geben – und vielleicht bringt die Zukunft einige innovative Geschäftsmodelle.

Ein interessanter Punkt, den Sie vorhin erwähnt haben, ist, dass das System immer noch auf zentrale Erzeugung ausgerichtet ist und dass wir erst einen Systemwechsel brauchen, um das Preisproblem zu vermeiden, das sich am Horizont abzeichnet...

Eine Abkehr von diesem System kann sowohl von Seiten der Politik als auch von Seiten der Endverbraucher erfolgen. Wenn die Verbraucherinnen und Verbraucher Zugang zu Preissignalen wie dynamischen Stromtarifen haben, werden sie ihre Verbrauchsgewohnheiten auf Zeiten verlagern, in denen preisgünstige Energie verfügbar ist. Wir verfügen über die technischen und digitalen Mittel, um dies zu ermöglichen. Denken wir nur an die Integration von Elektrofahrzeugen mit Batterien, mit Wärmepumpen und mit Photovoltaik. Jetzt fehlen noch die Rahmenbedingungen, um diese Trends zu fördern.

In Italien sehen wir derzeit ein starkes Marktwachstum. In 2022 war Italien wieder unter den Top Ten der Märkte. Welche Faktoren und Entwicklungen haben dazu beigetragen?

Von den Gigawatt-Märkten, die wir im Jahr 2022 gesehen haben, war Italien derjenige mit dem stärksten Wachstum im Vergleich zum Vorjahr, nämlich über 100%. Das lag vor allem an der berühmten Super-Bonus-Regelung mit 110% Steuerermäßigung für das Wohndachsegment. Diese Regelung hat sich nun geändert. Da sich die Bedingungen verschlechtert haben, könnte das Segment in Zukunft schrumpfen. Anfang 2023 wurde immer noch viel zugebaut, allerdings waren das meist Netzanschlüsse von Solaranlagen, die 2022 installiert worden waren.

Gleichzeitig wird für den Gewerbebereich ein deutliches Wachstum erwartet und das Großanlagensegment nimmt dank der positiven Regulierung der italienischen Politik, auch bei den Genehmigungsverfahren, endlich an Fahrt auf. Ein weiterer interessanter Trend in Italien ist Agri-PV, da Italien über große landwirtschaftliche Flächen verfügt. Die Regierung hat ein Förderprogramm für Agri-PV-Projekte eingeführt, das auf Innovation ausgerichtet ist.

Sprechen wir über den niederländischen Markt: Die Niederlande haben mit 1.000 Watt installierter Solarenergie pro Einwohner die höchste Solarenergieproduktion pro Kopf. Wie ist die Verteilung auf die verschiedenen Segmente im Land, können die Niederlande als Beispiel für Europa dienen?

Die Niederlande sind der andere Shining Star am europäischen Himmel. Nach Australien liegen die Niederlande por Kopf an zweiter Stelle. Diese beiden Länder sind die einzigen, die im Durchschnitt mehr als 1 KW installierte Solarkapazität und mehr pro Einwohner erreichen. Was die Segmentierung in den Niederlanden angeht, so ist sie mit jeweils einem Drittel Marktanteil sehr ausgewogen zwischen Wohngebäuden, Industrie & Gewerbe und PV-Großanlagen. Es ist ein reifer Markt, der weltweit und insbesondere in Europa als Vorbild dienen sollte.

Viele EU-Mitgliedstaaten haben ein recht starkes Aufdachsegment, aber in einigen Mitgliedsstaaten – besonders in Mittel- und Osteuropa – fehlt es – mit wenigen Ausnahmen – noch an Dynamik.

In Ihrer Präsentation auf der Intersolar Europe Conference 2023 haben Sie einige europäische Nicht-EU-Länder hervorgehoben, die in letzter Zeit größere Marktanteile erobert haben.

Können Sie einige davon nennen oder auch andere Märkte in der EU-27, die im Kommen sind?

Wir beobachten seit einigen Jahren, dass in ganz Europa und innerhalb der EU eine Diversifizierung stattfindet. In der Vergangenheit wurde sie eher von einigen wenigen großen Märkten angetrieben, jetzt ist der Einsatz von Solarenergie in ganz Europa nicht mehr nur von einigen wenigen Ländern abhängig.

Innerhalb der EU-27 stechen dabei etwa Dänemark, Griechenland, Ungarn und Österreich heraus, die zum ersten Mal – oder zum ersten Mal seit langer Zeit – einen Zubau im Gigawatt-Bereich geschafft haben. Außerhalb der EU sind vor allem die Türkei, die Schweiz und das Vereinigte Königreich zu nennen, die nach der Kürzung der Einspeisevergütung im Jahr 2017 nach einigen Jahren wieder auf Gigawatt-Niveau zurückgekehrt sind. Interessant ist, dass in vielen Ländern, die Gigawatt-Niveau erreicht haben, wie z. B. Österreich und die Schweiz, das Wachstum vor allem durch Aufdachanlagen getrieben wird, und zwar dank sehr günstiger und attraktiver politischer Rahmenbedingungen, die dies auch in kleineren Ländern ermöglichen, die über keine großen Flächen verfügen.

Außerhalb der EU-27 ist die Türkei das zweite Jahr in Folge ein Gigawatt-Markt. Interessant ist, dass es dort eine starke Produktionsbasis gibt, die von der nationalen Politik unterstützt wird. Daher ist es auch im Interesse der Regierung, eine Nachfrage nach solchen Produkten zu entwickeln. Berichten zufolge lag der Markt im letzten Jahr zwischen 1 und 1,5 GW und es wird erwartet, dass er auch in den kommenden Jahren stabil bleibt bzw. weiter wächst. Es gibt verschiedene Treiber, einer davon sind die Energiepreise. Es gibt also ein großes Interesse, vor allem im Bereich Industrie & Gewerbe und bei öffentlichen Gebäuden, Solaranlagen auf Dächern zu installieren. Es gibt auch Auktionen, und die Regierung beabsichtigt, regelmäßige Ausschreibungen für Solar im Großanlagenbereich abzuhalten.

Das Interview führte Sarah Hommel de Mendonça.

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