„Bürokratie und mangelnde Digitalisierung bremsen Elektromobilität massiv aus“

Experteninterview – 18. März 2024

Elektromobilitäts-Experte Matthias Kerner führt im Interview aus, wo es speziell bei der Umsetzung der neuen Vorgaben zur Treibhausgasquote (THG-Quote) noch gewaltig hakt – und welche Chancen trotz alledem bestehen. Er ist Geschäftsführer der Emovy GmbH aus Ettlingen.

Durch die THG-Quote werden diejenigen finanziell belohnt, die zur Reduzierung schädlicher Treibhausgase in der Atmosphäre beitragen.

Interview with Matthias Kerner, Managing Director of Emovy GmbH

Seit dem 1. Januar 2024 sind neue Regelungen für die Anrechnung von selbst erzeugtem Strom – also vorrangig durch Photovoltaikanlagen – in Kraft, wenn dieser an Ladepunkten zur Verfügung gestellt wird. Dabei sind die Vorgaben des Umweltbundesamtes für die Anrechnung der Ladestrommengen aus erneuerbaren Energien strenger geworden. Was heißt das für Unternehmen, die von der THG-Quote profitieren wollen?

Statt mit einem Standardzähler muss nun mithilfe spezieller Zähler nachgewiesen werden, dass der in der Anlage erzeugte Strom in 15-Minuten-Intervallen an die öffentlichen Ladepunkte abgegeben wird. Auf diese Weise soll verhindert werden, dass Betreiber den selbst erzeugten Grünstrom über die THG-Quote und die EEG-Einspeisevergütung doppelt vergüten lassen.

Dieser Wunsch ist zwar grundsätzlich nachvollziehbar, doch in der Praxis bringen die neuen Regelungen einige Schwierigkeiten mit sich.

Sind solche speziellen Zähler denn deutlich teurer als die bisher genutzten Standard-Stromzähler?

Je nach Anwendungsfall benötigen Anbieter zwei bis drei neuartige Zähler, die neben den einmaligen Installationskosten zudem mit Kosten von mehreren Hundert Euro pro Jahr pro Zähler zu Buche schlagen können.

Obwohl lokal erzeugter Ladestrom aus erneuerbaren Energien nun mit einem gut 2,5-fachen Anrechnungsfaktor bei der THG-Quote berücksichtigt wird, führen diese Mehrkosten dazu, dass sich der Einbau dieser speziellen Zähler erst bei einer abgegebenen Strommenge von mehreren Megawattstunden im Jahr überhaupt rechnet. Und dabei ist es umso ärgerlicher, dass Batteriespeicher vor Ort dabei gar nicht berücksichtigt werden.

Das heißt, obwohl der Strom vor Ort mithilfe von erneuerbaren Energien erzeugt wurde, wird dies nicht anerkannt, wenn er zwischengespeichert wird?

Ganz genau. Der höhere Anrechnungsfaktor gilt nur dann, wenn der erzeugte Strom direkt ins Fahrzeug geladen wird. Das geht völlig an den physikalischen Begebenheiten an einer Ladestation vorbei. Selbst eine große Photovoltaik-Anlage, die im Optimalfall 100 Kilowatt als Spitzenleistung schafft, kann nur maximal diese 100 kW als Ladeleistung zeitgleich an Fahrzeuge abgeben. Wird dabei zusätzlich zuvor auf gleiche Weise vor Ort gewonnener Strom aus dem Speicher genutzt, wird dieser aber nicht angerechnet. Das ist für alle betroffenen Unternehmen sehr bedauerlich.

Sie unterstützen Unternehmen bei der Vermarktung ihrer THG-Quote und übernehmen in diesem Zuge auch die Kommunikation mit den zuständigen Behörden. Wie gut funktioniert das?

Das ist leider zumeist ein Gedulds- oder sogar auch Glücksspiel. Es gibt aktuell schlichtweg keine verbindlichen Aussagen, wie Details der neuen Verordnung auszulegen sind. Oft warten wir viele Wochen, bis wir eine Auskunft mit einer Zu- oder Absage erhalten. Letztendlich sind die Unternehmen vom guten Willen der zuständigen Behörden abhängig, die sich mit der Materie aber oft angesichts zunehmend überbordender Bürokratie gar nicht wirklich auskennen.

Dieses Nadelöhr kostet uns bisweilen bis zu 16 Wochen an Zeit. Und auch der öffentlich genutzte Digitalisierungsgrad ist oft einfach erschreckend niedrig. Das alles bremst den Hochlauf der Elektromobilität spürbar aus.

Was müsste denn passieren, damit hier Besserung eintritt?

Die Bundesregierung bemüht sich zwar offensichtlich darum, Bürokratie abzubauen und die Digitalisierung voranzutreiben. Doch dies geschieht aus unserer Sicht viel zu langsam und auch nicht flächendeckend. Hier müsste deutlich mehr investiert werden, ansonsten droht Deutschland zunehmend den Anschluss zu verlieren – und das, obwohl der Umstieg auf erneuerbare Energien solch ein entscheidender Baustein für ein zukunftsorientiertes und erfolgreiches Wirtschaften ist.

Zudem wäre es bei der Ausarbeitung von neuen Verordnungen sehr hilfreich, wenn sich die Behörden zukünftig vorab auch mit den Betroffenen darüber austauschen würden. Dies würde das Risiko von zeitraubenden Unklarheiten und Schieflagen bei der Auslegung durch die Behörden von vornherein deutlich reduzieren. Und es würde es den Unternehmen deutlich erleichtern, das zu tun, was die Bundesregierung ja eigentlich möchte: die Menge der ausgestoßenen Treibhausgase zu reduzieren.

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