„Wir brauchen vermehrt intelligente Messsysteme“

Experteninterview – 22. Januar 2024

Unter Preiskannibalisierung versteht man ein Überangebot an erneuerbarem Strom zu Haupterzeugungszeiten, welches dazu führt, dass das Angebot die Nachfrage nach Strom übersteigt. Dies führt zu negativen Strompreisen, sprich, der Geldwert pro Kilowattstunde (kWh) Strom sinkt am Strommarkt so stark, dass die Anlagenbetreiber bezahlen müssen, um ihren Strom ins Netz einzuspeisen zu dürfen.

Zu Mittagszeiten an sonnenreichen Tagen waren zuletzt mehrere europäische Märkte zunehmend von negativen Strompreisen betroffen.

Welche Lösungen gibt es dafür auf dem Markt? Und welche Rolle spielen dabei sogenannte Flexibilisierungspotenziale und das Management von Angebot und Nachfrage auf Erzeuger- und Verbraucherseite?

Dazu waren wir auf dem Forum Solar PLUS 2023 im Gespräch mit Josephine Steppat, Analystin bei Energy Brainpool.

Das Thema Preiskannibalisierung, sprich negative Preise an den Strombörsen zu Haupterzeugungszeiten, spielt derzeit in vielen Ländern Europas eine immer größer werdende Rolle. Können Sie uns die Probleme nennen, die Preiskannibalisierung mit sich bringt?

Anlagenbetreiber, die ihren Strom auf dem Markt und speziell an der Strombörse vermarkten wollen, treffen in den Zeiten, wo die Produktion am größten ist, auf diese negativen Preise. Wenn zur Mittagszeit negative beziehungsweise niedrige Preise vorherrschen, ist das für die Wirtschaftlichkeit und Finanzierung der Projekte und demzufolge für Anlagenbetreiber ein großes Problem.

Mit welchen Marktmechanismen kann der Preiskannibalisierung entgegengewirkt werden?

Die Stromnachfrage kann flexibilisiert werden. Sprich, wir haben bislang immer ein Lastprofil, was relativ gleich ist. Besteht in den Nachtstunden kaum Nachfrage, dann steigt es in den Morgenstunden bis zum Mittag, in der Nachmittagszeit geht es runter und dann in den Abendstunden steigt es wieder. Das ist die typische Nachfragekurve. Wenn wir es schaffen, dass wir diese Nachfrage flexibilisieren und insbesondere die Nachfrage in die Mittagsstunden verschieben können, in denen wir eine hohe PV-Stromproduktion haben, ist das auf jeden Fall ein guter Mechanismus.

Hier ist der Zubau von Elektrolyseuren wichtig, da diese genau in diesen Stunden eine Nachfrage stellen können. Aber auch E-Mobilität spielt eine Rolle, also das genau in diesen Stunden die Autos geladen werden. Zur Flexibilisierung der Angebotsseite kann man Strom zur Mittagszeit zwischenspeichern und dann in den Abend- und Nachtstunden abgeben.

Spielt die Nachfrage von Privatverbrauchern in diesen ökonomischen Modellen auch eine Rolle?

Ja. Die Frage ist, wie realistisch die Nutzung von Flexibilisierungspotenzialen im Privatsegment ist und ob die Nachfrage der Konsumenten so groß ist, dass diese ihr Verhalten anpassen. Was da mit einspielt, ist, dass die meisten noch Stromverträge mit einem fixen Preis haben und gar nicht auf Preisänderungen an der Strombörse reagieren. Dazu brauchen wir vermehrt intelligente Messsysteme, also Smart Meter, die in die Haushalte eingebaut werden, damit dann diese dynamischen Verträge, also die Kopplung an den Börsenstrompreis, überhaupt erst stattfinden kann.

Es gibt jetzt auch Gesetzesentwürfe dazu, dass jeder Stromanbieter verpflichtend in der Zukunft dynamische Tarife anbieten muss, um das weiter zu forcieren.

Welche Auswirkungen erwarten Sie durch die zunehmende Elektrifizierung der Sektoren Wärme und Energie auf die Häufigkeit des Auftauchens negativer Strompreise?

Wir sehen auf jeden Fall, dass sich die Stunden mit negativen Preisen verringern können. Wir simulieren Strompreise bis 2060 und haben verschiedene Szenarien. Ein Szenario basiert auf der politischen Beschlusslage. Wir haben aber auch ein Szenario, indem wir einen Anstieg der flexiblen Nachfrage voraussetzen, stärker als in den anderen Szenarien. Im Vergleich dieser beiden Szenarien können wir sagen: Ungefähr ein Drittel der negativen Strompreise kann reduziert werden, wenn wir verstärkt flexible Nachfragen haben, sprich E-Mobilität, Wärmepumpen und Elektrolyseure.

Wie wirkt sich die Kannibalisierung auf das derzeitige Investitionsklima für Erneuerbare Energien aus?

Sie hat eine dämpfende Auswirkung auf den Bau von neuen PV-Anlagen, besonders dann, wenn man den Strom an der Börse vermarkten will. Was wir sehen, ist, dass die Nachfrage nach PPAs steigt, um eine fixe Vergütung auch zu negativen Stundenzeiten zu haben.

Inwieweit stellt energy shifting eine Lösung für das Problem der Preiskannibalisierung dar?

Es stellt eine Lösung dar, indem man das Angebot und die Nachfrage wieder ins Gleichgewicht bringen kann. Dann glätten sich die Preise, und die Volatilität am Markt sinkt.

Für wen ist Energy Shifting interessant, wer kann das nutzen?

Energy Shifting ist für Anlagenbetreiber interessant. Sie können ihren Lastgang verschieben und müssen nicht genau in den Zeiten, wo negative oder niedrige Preise vorherrschen Strom einspeisen, wenn sie einen Batteriespeicher mit installieren. Auf der anderen Seite kann ich als Anlagenbetreiber auch sagen, dass ich z. B. die PV-Überschussmengen zur Mittagszeit über ein Wasserstoff-PPA verkaufe und der Strom für Elektrolyseure genutzt werden kann.

Auf der anderen Seite ist Energy Shifting auch für Investoren interessant, die sagen: Ich investiere jetzt in Großbatteriespeicher und nutze genau diese price spreads am Markt aus. Wenn viele Speicher zugebaut werden, kommt es zum Shifting, da die Strommengen über den Tag verteilt werden und sich der Preise dadurch angleichen kann.

Spannend ist Energy Shifting theoretisch auch für Endverbraucher, wenn der Smart Meter Rollout passiert ist, wenn die dynamischen Tarife bei den Endverbrauchern angekommen sind und es bei den Menschen den Anreiz gibt, ihre Nachfrage zu flexibilisieren.

Welche Herausforderungen bestehen derzeit und was braucht man, um Energy Shifting großflächig umzusetzen?

Die größte Hürde sind die hohen Investitionskosten. Allein für Batteriespeicher sind die Preise teilweise relativ hoch und es besteht noch eine gewisse Unsicherheit, wie sich der Markt entwickeln wird. Der Rollout von intelligenten Messsystemen im Endverbrauchersegment ist auch noch eine Herausforderung. Auch die Bürokratie kann eine Herausforderung sein. Wir hören von Rechtsberatern, welche in diesem Bereich tätig sind, dass der bürokratische Aufwand für die Projekte noch hoch ist.

Wenn man sich das mal anschaut bezüglich der Elektrolyseure: Es gibt jetzt auf EU-Ebene den Delegierte Rechtsakt zur Definition von grünem Wasserstoff der Renewable Energy Directive (RED II), der bestimmt, wann Wasserstoff grün ist. Da gibt es dann auch gewisse Kriterien, die erfüllt werden müssen. Unter anderem besteht die Anforderung, dass der Strom, den der Elektrolyseur benutzt, gleichzeitig von einer EE-Anlage produziert werden muss, und das muss auf stündlicher Basis passieren. Doch wie misst man das? Das ist alles immer noch nicht rechtlich geregelt.

Das Interview führte Sarah Hommel de Mendonça.

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