„Gebäude als Schlüssel für stabile Netze“

Experteninterview – 19. November 2025

Tilt Energy möchte mit KI-gestützten Lösungen die Nachfrageflexibilität in Europas Stromnetzen verbessern.

Thomas Bajas, Mitgründer & Chief Growth Officer, sieht großes Potenzial in Gebäuden und dezentralen Anlagen wie Batterien und Wärmepumpen, um das Netz zu stabilisieren und Kosten zu senken.

Tilt Energy wurde im Januar 2023 von Romain Serres (CEO) und Guillaume Louat (COO) gegründet. Romain ist Ingenieur, forschte zu KI und Flexibilität und hat bereits viel Erfahrung mit Start-ups. Guillaume brachte sein Wissen zur Finanzierung von Energieinfrastruktur ein. Beide beschlossen, sich einer der wichtigsten, aber oft unterschätzten Herausforderungen der Energiebranche zu widmen: der Flexibilität dezentraler Energieressourcen.

Ich selbst war der erste Investor des Start-ups und stieg Ende 2024 offiziell als Mitgründer und neudeutsch Chief Growth Officer in das Führungsteam ein. Unsere Vision ist es, eine Technologie zu entwickeln, die den Stromverbrauch in der richtigen Höhe auf den optimalen Zeitpunkt im Sinne des Stromnetzes, der Umwelt und der Stromkosten verschiebt. In etwa so, als würde man die Teile in einem Tetris-Computerspiel passgenau zusammensetzen.

Tilt Energy ist eine KI-gestützte Plattform, die darauf ausgelegt ist, Nachfrageflexibilität in großem Maßstab zu aktivieren. Wir befähigen Gebäude- und Anlagenbesitzer, Energiemanager und Versorgungsunternehmen, daran teilzunehmen. Dafür verbinden wir dezentrale Stromerzeuger und Verbraucher mit dem Energiesystem und bieten Flexibilitätsdienste an.

Wir verschieben den Stromverbrauch in Abhängigkeit von externen Signalen wie Strompreisen oder der Netzbelastung. Dadurch helfen wir, Verbrauch und Erzeugung im Netz auszugleichen. Zudem reduzieren wir CO₂-Emissionen, da weniger fossile Kraftwerke zugeschaltet werden müssen. Auf diese Weise machen wir die Energiewende wirtschaftlicher, indem wir Energiekosten senken und teils sogar neue Einnahmequellen generieren.

Grundvoraussetzung, um Flexibilität bereitstellen zu können, ist, dass der Kunde über vernetzte, steuerbare elektrische Anlagen oder Verbraucher verfügt, wie sie jeder kennt. Also beispielsweise Heizungs-, Lüftungs- und Klimasysteme, Ladestationen für Elektrofahrzeuge, Photovoltaikanlagen oder Batteriespeicher. Für die Vermarktung benötigen wir dann lediglich historische Verbrauchsdaten des Kunden sowie die Anbindung an die jeweilige Anlage oder an das Energiemanagementsystem. Mehr braucht es nicht.

Gebäude stehen sprichwörtlich im Zentrum der Energiewende. Sie verursachen mehr als 40 Prozent des gesamten Energieverbrauchs in Europa. Daher müssen sie zunächst elektrifiziert werden, insbesondere durch den Ersatz fossiler Heizsysteme durch Wärmepumpen. Anschließend können sie durch flexible Verbrauchssteuerung – je nach Netzbelastung und Preissignalen – den Anteil erneuerbarer Energien im Netz erhöhen. Flexibilität ist dabei auf beiden Seiten entscheidend: Sie sorgt einerseits für Ersparnisse oder Einnahmen, die den grünen Strom gegenüber Gas wettbewerbsfähiger machen, und andererseits dafür, dass Ökoenergie effizienter genutzt werden kann. Gebäude sind zudem ein Schlüssel für stabile Netze.

Speichersysteme werden vermutlich immer das größte Potenzial bieten, da sie das geringste Spannungsverhältnis zwischen Nutzen und Komfort aufweisen. Ihr Ausbau wird jedoch eher langsam verlaufen und hat eine Obergrenze. E-Autos und Wärmepumpen breiten sich dagegen deutlich schneller aus – denn sie dienen nicht nur der Flexibilität. Mit intelligenten Algorithmen, die Komfort und Nutzung nicht beeinträchtigen, bieten diese Anlagen ein großes Flexibilitätspotenzial und, sie werden künftig in viel größerem Umfang installiert.

Flexibilität kann zu verschiedenen Zeitpunkten vor der physischen Stromlieferung gehandelt werden. Diese Zeitpunkte unterscheiden sich ja nach Energiemarkt – vom Day Ahead und Intraday Markt bis hin zu den unterschiedlichen Arten der Regelenergie. Um das Netz auszugleichen und Flexibilitätsanbieter zu belohnen, gibt es Energie- und Kapazitätsmärkte. Verbraucher profitieren davon, dass sie ihren Strombedarf günstiger decken oder sogar neue Einnahmen generieren. Netzbetreiber können ihre Netze entlasten, der Investitionsbedarf sinkt. Das gesamte System profitiert von geringerer Preisvolatilität, mehr Ökostrom im Netz und einem geringeren Risiko von Stromausfällen.

In Frankreich sind wir momentan am aktivsten. Wir managen dort mehrere hundert Standorte und können Zehntausende Anlagen je nach Netz- und Marktsignalen steuern, vor allem bei gewerblichen Gebäuden etwa der Supermarktkette Carrefour oder des Immobilienunternehmens Unibail-Rodamco-Westfield.

Frankreich verfügt derzeit über eines der fortschrittlichsten Regelwerke zur Flexibilisierung. Der Markt ist daher das ideale Testfeld für uns, um unsere Technologie weiterzuentwickeln – von Prognosen über die Aggregation bis zur direkten Vermarktung von Flexibilität. Teile unserer Plattform verkaufen wir bereits an Energieversorger in anderen Ländern, damit diese Stromangebot und -nachfrage besser ausgleichen können.

Netzüberlastungen vermeiden, Preisschwankungen reduzieren und mehr Erneuerbare ins Netz einspeisen ¬̶ das sind Herausforderungen, die in allen europäischen Ländern gemeistert werden müssen.

Unser Ziel ist es, bis 2030 eine flexible Leistung von einem Gigawatt zu steuern. Ein solches virtuelles Kraftwerk entspricht etwa der Leistung eines Kernkraftwerks. Unser Fokus liegt derzeit vor allem in Frankreich, aber wir wollen auch in weiteren europäischen Ländern unsere Präsenz forcieren, um einer der führenden Anbieter von nachfrageseitigen Flexibilitätslösungen in Europa zu werden.

Das Interview führte Niels H. Petersen.

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